Wohnungsbesichtigungen trotz schwerwiegender psychischer Erkrankung des aktuellen Mieters?

Urteile

Urteil vom ​​26.04.2023 (BGH, Urteil v. 26.04.2023, VIII ZR, 420/21)

Grundsätzlich ist der Mieter aus einer vertraglichen Nebenpflicht aus § 242 BGB verpflichtet, dem Vermieter nach entsprechender Voranmeldung Zutritt zur Wohnung zu verschaffen, sofern es dafür einen konkreten sachlichen Grund gibt (Urt. v. 04.06.2014, Az. VIII ZR 289/13).

Wie aber verhält es sich, wenn es dem Mieter psychisch so schlecht geht, dass eine Besichtigung nahezu unzumutbar wäre? Diesen Fall entschied der BGH im Laufe dieses Jahres. Ein Vermieter möchte seine Wohnung verkaufen und Kaufinteressenten durch die vermietete Wohnung führen. Dies stellt in jedem Fall einen sachlichen Grund dar, da grundsätzlich die dadurch entstehende Beeinträchtigung des Mieters geringfügig ist und regelmäßig hinter dem Interesse des Vermieters über sein Eigentum frei verfügen zu können (impliziert auch Veräußerung dieser), zurücktreten muss. Die aktuelle Mieterin würde auch beim Kauf Mieterin bleiben. Denn “Kauf bricht nicht Miete”, § 566 BGB.

Im vorliegenden Fall hatte das LG Fürth allerdings ein solches Zutrittsrecht verneint (Urt. v. 30.11.2021, Az. 7 S 5584/20). Gründe, die es zu diesem Entschluss kommen ließen, waren zum einen die Interessenabwägung zwischen den Grundrechten aus Art. 13 GG (Unverletzlichkeit der Wohnung), Art. 14 GG (Eigentum) und Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG (Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit der Mieterin). Außerdem wurde im Auftrag des Gerichts ein psychologisches Sachverständigengutachten gefertigt, welches bestätigte, dass die Mieterin unter einem “komplexen psychischen Störungsbild mit depressiven Verstimmungszuständen, Ängsten, Zwängen und dissoziativen Störungen” leidet und diese sich bereits seit über 20 Jahren in psychiatrischer Behandlung befindet.

Das Gutachten kam unter diesen Umständen zu dem Schluss, dass der sich ohnehin schon sehr fragile Gesundheitszustand der Mieterin durch entsprechende Wohnungsbesichtigungen sehr wahrscheinlich verschlechtern würde. Es könnte ein erhöhtes Risiko für erhebliche Gesundheitsgefährungen bis hin zum Suizid entstehen.

Der BGH hob dieses Urteil nun jedoch auf und gab der Revision des Vermieters mithin statt. Begründet wurde diese Entscheidung damit, dass das Urteil in einem entscheidenden Punkt unter einem Rechtsfehler leide. Ein solcher soll in der tatrichterlichen Beweiswürdigung gem. § 286 ZPO liegen. Das psychiatrische Gutachten sei nicht vollständig gewürdigt worden. Die Passage im Gutachten „wonach sich das Risiko für gesundheitliche Komplikationen, wenn sich die [Mieterin] bei einem Betreten der Wohnung durch Vermieter, Kaufinteressenten oder Makler von einer Vertrauensperson beziehungsweise einem Rechtsanwalt vertreten lasse, im Vergleich zu einer Besichtigung bei persönlicher Anwesenheit der Beklagten verringere“, sei vollständig außer Acht gelassen worden. Ob diese Möglichkeit eine für beide Seiten zufriedenstellende Lösung des Konfliktes darstellt und ob die Feststellung, dass ein dem Vermieter recht gebendes Urteil bereits ein Gesundheitsrisiko für die Mieterin darstellen würde, hat das LG nicht geprüft.

Nun muss das LG nach der Zurückverweisung durch den BGH tatrichterlich Aufklären und neu entscheiden.

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